Rahnwerder
Mit knapp 70 Einwohnern war Rahnwerder die kleinste Gemeinde des Kreises Saatzig. Sie liegt im Südosten des Kreises, nahe der Grenze zum Kreis Dramburg, am Rande des Wedelsdorfer Forstes. Um Rahnwerder herum gab es weite Moorflächen, die zum Teil durch künstliche Über-sandung nutzbar gemacht worden waren. An den Rändern der Moorgebiete gab es ausgedehnte und leicht erhöhte Sandstriche. In Urzeiten mag es hier einmal unergründlichen Morast gegeben haben, jedoch wohl auch einzelne feste, etwa inselartige Stellen. In der Revierkarte taucht nämlich
immer wieder der Name „Werder" auf, was soviel wie „Flußinsel" bedeuten kann. So mag auch der Ort Rahnwerder auf so einem festen Grund im Moor errichtet worden sein. Die Moorflächen sind durch Urbarmachung im Laufe der Zeit fast vollkommen verschwunden, lediglich in unmittelbarer Nähe des etwa ein km vom Dorf entfernten Teufelsees gab es noch einige sogenannte „Torflöcher", die vom Torfstechen herrührten. Diese Löcher waren ein Paradies für Sumpf- und Wasservögel. Am Rande der Torflöcher stand noch ein halb verfallener Schuppen rnit alten Geräten zum Torfstechen.
In Rahnwerder mögen ursprünglich nur die alten Fachwerkbauten gestanden haben, inzwischen gab es Häuser aus festem Mauerwerk. Alle Häuser von Rahnwerder standen alle recht nahe an der Fölknitz, Fließ genannt. Als Fachwerkbauten waren 1945 noch vorhanden: der alte Schulbau, der als Lehrerwohnung diente; eine neuere Schule war irgendwann angebaut worden. Weiter das Haus des vorletzten Bürgermeisters, ein kleineres Wohnhaus, einige Stallungen, ein Speicherund die Kirche. Jahre davor gab es am südlichen Ende des Dorfes noch ein Haus, von dem nur noch die Grundmauern zu sehen waren; diesen Ort nannte man „Schloß Rotenburg". Rahnwerder war ehemals der Hauptsitz der „von Döberitz". Reste des Schloßgrabens waren noch deutlich erkennbar. In neuerer Zeit war Rahnwerder Arbeitersitz des Hauptgutes Klein-Spiegel der „von Wangenheim". Lediglich einen eigenständigen Bauern (Fritz Braun) gab es noch.
1939 lebten in Rahnwerder 67 Einwohner in 15 Haushalten. 6 Einwohner waren unter 6 Jahren, 12 unter 14 Jahre, 45 unter 65 Jahre und 4 darüber. 45 Einwohner arbeiteten in der Land- und Forstwirtschaft. Eine Schule, eine Kirche und eine Bürgermeisterei (letzter Bürgermeister: Heinrich Wehrend) besaß das Dorf. Auch der Privat-Revierförster der Freiherr von Wangenheimschen Forsten hatte seinen Wohnsitz in Rahnwerder. Handwerksbetriebe im Ort gab es keine, nicht einmal Telefon war vorhanden. Als die Schülerzahl der einklassigen Volksschule einmal auf fünf Schüler herabgesunken war, es muss zwischen 1935 und 1937 gewesen sein, wurden kinderreiche Familien vom Hauptgut nach Rahnwerder getauscht gegen kinderlose Arbeiterehepaare, um die Schule nicht eingehen zu lassen. Unterrichtet wurden die Schüler von dem damaligen Lehrer Max Voegler, der seit ca. 1907 in Rahnwerder ansässig war. Der Lehrer hatte gleichzeitig die Funktion des Kantors inne und hielt außerdem Lesegottesdienste an Sonntagen ab, an denen der Pastor in einer seiner anderen Gemeinden den Predigtgottesdienst hielt.
Abends ging dann das „Markenkleben" los. Für jede Kiepe, etwa 80 Pfund, gab es eine Marke. Für eine gewisse Anzahl von Sammlern war ein Träger nötig, der nur Kiepen ausleerte. Auch der Träger bekam eine Marke, jedoch anderer Art. Eine dritte Markenart bekam der Gespannführer für jeden vollen Wagen, den er vom Feld abfuhr. Das Amt des Markenausteilers mußte oft der Förster übernehmen. Das Ende der Getreideernte war mit einer besonderen Tradition verbunden. Noch auf dem Felde wurde eine Erntekrone gebunden und mit dem letzten Garbenwagen heimgebracht, direkt vor das Herrenhaus. Man nannte es „Den Alten einbringen". Zu dem Zweck machte sich die Vorarbeiterin der jungen Mädchen recht hübsch und hatte ihren Spruch aufzusagen. Die Herrschaften dankten und gaben natürlich einen aus, der Abend wurde mit Freibier und Tanz in der Wagenremise gefeiert.
Die Arbeiter und auch der Förster hielten sich ein oder zwei Kühe, die aber vom Gut aus versorgt wurden, und zwar insofern, als sie im Sommer auf gutseigenen Weiden und Koppeln grasen durften, im Winter auch mit Heu und Stroh versorgt wurden. Jeder Besitzer aber mußte mit Rüben zufüttern, die er selbst eingemietet hatte, aber vom Gut als Deputat geliefert bekam. Zeitweise wurde auch „Murks" zugefüttert, eingemietetes Grünfutter, das durch den Gärungsprozeß haltbar gemacht wurde. Das zum Amtsbezirk Rahnwerder gehörende Gut Blockhaus gehörte Max Hammer, Pächter war Hermann Rippe. Es war 388 ha groß, und 1939 wurden 6 Pferde, 20 Rinder und 30 Schweine dort gehalten. Nördlich von Rahnwerder lag das Vorwerk Ulrichtsfelde. 1910 lebten dort fünf Einwohner. Um das Jahr 1910 stand auch eine Mühle in Rahnwerder. Dort lebten damals 18 Einwohner, den Ort nannte man „Eichort". (Volkszählung 1910) Heinrich Wehrend war Revierförster bei Herrn v. Wangenheim, zuständig für die Reviere Kl. Spiegel und Rahnwerder, für die Bauernforsten in Groß. Meilen und die Pfarrforsten Kl. Spiegel und Rahnwerder. Nebenberuflich war er Bürgermeister für Rahnwerder und den Ort Kolk, ein Überbleibsel der Gemeinde Wedelsdorf, mit nur drei Familien.
Wohl hatte jedes Dorf seine eigene Kirche, der Pastor aber hatte seinen Wohnsitz in Groß Meilen. Zentral im Kirchspiel gelegen, besuchte er von dort aus seine einzelnen Gemeinden. Der letzte Pastor hieß Kurt Behling, er fiel während des Krieges als Soldat. Vordem betreute Pastor Pippow aus Rahnwerder die Gemeinden. Etwa 1938/39 wurde der Friedhof von Wedelsdorf nach Rahnwerder umgebettet.
Wenn man von Rahnwerder berichtet, muß man das Gut Klein Spiegel mit einbeziehen. Es gehörte zum Rittergut des Freiherrn Otto von Wangenheim. Das Gut verfügte über ausgedehnte Land- und Forstwirtschaften, Milchvieh, Rinder- und Schweinezucht. Gejagt wurden Rot-, Reh und Schwarzwild sowie Niederwild. In der Landwirtschaft nahm der Kartoffelanbau einen großen Platz ein. Weiter hin wurden Roggen, Gerste und Hafer angebaut. Auf san digen Böden konnte kein Weizen angebaut werden, es war nicht genügend Lehm vorhanden. Das Gut besaß eine eigene Brennerei, in der die Erzeugnisse der eigenen Landwirtschaft verarbeitet wurden. Im Krieg gab es ein großes Gefangenenlager auf dem Gut, in dem Kriegsgefangene (Russen, Polen, Serben) für Arbeitszwecke untergebracht waren. Die Kartoffelernte war eine besonders hektische Zeit. Es ging im Akkord, und zwar arbeiteten die Einheimischen kriechenderweise quer zu den Reihen, soweit der Hacker links und rechts reichte. Wenn man nicht mithalten konnte, mußte man damit rechnen, daß man bald keine Stauden mehr vor sich hatte. Niemand wollte gern neben dem „langen Hermann" arbeiten, der wohl über zwei Meter maß und über eine beträchtliche Reichweite verfügte.